Kalkulierter Vertrauensbruch

Geschrieben von: am 05. Okt 2021 um 11:17

Pünktlich zur vorerst letzten Sondierungsrunde am heutigen Dienstag zwischen Union und Grünen funktioniert der Facebook-Dienst WhatsApp wieder. Die Bild-Zeitung mit ihrem TV-Ableger wäre wohl aufgeschmissen ohne einen Handy-Alarm aus der vertraulichen Gesprächsrunde. Diese „exklusiven“ Informationen soll es auch am Wochenende gegeben haben, als Union und FDP miteinander sondierten. Ein FDP-Vize ist daher genervt, dabei sind die durchgestochenen Gesprächsinhalte alles andere als pikant, sondern sehr wahrscheinlich im beiderseitigen Einvernehmen kalkuliert.

Dass die FDP gern Jamaika wolle und deshalb danach fragt, wie ernst es die Union mit diesem Bündnis meine und dass man dafür auch die Grünen bräuchte, die man deshalb „rüberziehen“ müsse, ist ja nun wirklich keine Verletzung der Vertraulichkeit. Es ist die Übersetzung der albernen Klippen-Rhetorik vom Vortag. Das Ganze lenkt auch ein wenig davon ab, dass die Vorbehalte der FDP insbesondere einer Ampelkoalition gelten. Die Liberalen wollen eindeutig nicht mit der SPD zusammengehen, weil die Differenzen erkennbar unüberbrückbar sind. Die neoliberalen Vorstellungen von Finanz-, Wirtschafts- und Steuerpolitik sind überhaupt nicht kompatibel mit den Ankündigungen der SPD. Wenn die Liberalen ihr Programm ernst nehmen, brauchen sie eigentlich gar nicht mit SPD und Grünen zu verhandeln.

Das Gleiche gilt natürlich auch umgekehrt für die Grünen, die zur Union hinüber gezogen werden sollen. Nähmen sie ihr Programm ernst, schließt das ein Bündnis mit Schwarzen und Gelben aus. Es kann aber durchaus sein, dass der Widerstand, die eigenen Überzeugungen in die Tonne zu treten, bei den Grünen, die seit 2005 auf eine Regierungsbeteiligung warten, etwas geringer ausgeprägt ist, als bei der FDP. Sie müssten ja vielleicht auch gar nicht so sehr verzichten, wenn Union und FDP große Zugeständnisse beim Klimathema machten. Der klimagerechte Wohlstand als Grundlage für eine lebenswerte Zukunft, diese hohle Phrase der Grünen lässt sich ja leicht mit Leben füllen. Die Österreicher machen es gerade vor. Die Unternehmen mit Milliarden an Steuergeschenken beglücken, ein paar Euro Umweltbonus für die Bevölkerung sowie eine Anhebung der Klimaabgabe. Fertig ist der schwarz-grüne Kompromiss.

Der Eiertanz um vertrauliche Gespräche, über die mit reichlich Bildersprache kommuniziert wird, ist peinlich. Je länger dieser Unfug dauert, desto mehr werden die Standpunkte von Hinterbänklern eben getwittert, gepostet oder gesimst. Auch das Gerede über den Stand von Armin Laschet, fällt er oder fällt er nicht, lenkt vom Offensichtlichen ab. Die Ampel, so sehr sie in dieser Woche in den Himmel geschrieben wurde, wird sehr wahrscheinlich eben nicht kommen. Das hatten auch schon die Parteivorderen der SPD unmittelbar nach der Wahl geahnt, als sie den Liberalen vorwarfen, Voodoo-Ökonomie zu betreiben. Inzwischen drücken die Sozialdemokraten aufs Tempo, wahrscheinlich aus Furcht vor einer Erholung der Union. Dabei ist dieser Prozess längst eingeleitet. Laschet bleibt ein Parteichef auf Abruf und die Erneuerung ist für später angekündigt. Die FDP hat zudem den Druck auf die Grünen erhöht und indirekt mit der Großen Koalition als Folge gedroht, falls die kleineren Partner sich zu sehr verhaken. Die Liberalen hätten also kein Problem damit, wie 2017 auf die Regierung zu verzichten.

Genau diesen Punkt hatten Beobachter bislang andersherum wahrgenommen. So ging man davon aus, dass es die FDP keinesfalls erneut wagen würde, einfach davonzulaufen. Sie wäre also gezwungen, Kröten in einer Ampel zu schlucken. Dem ist nicht so, da man sich mit dieser Union ohne Merkel im Prinzip schon einig ist. Das war 2017 anders. Letztlich spielen auch ausgewählte Schwerpunkte eine Rolle. Der populäre Aufbruch fürs Klima kann wie oben beschrieben, mit einer geschickten PR-Strategie verbunden werden. Die Grünen dürfen sich zu Beginn profilieren, während die Union eine erfolgreiche Umsetzung später für sich reklamiert. Da hat man von Merkel gelernt. Die Medien sind an Bord, das zeigt das übergroße Interesse am Schicksal Armin Laschets. Dessen Bemühungen werden zu einem großen Kampf ums politische Überleben stilisiert. Schafft er es oder wird er doch noch geopfert und wenn ja, wer kommt dann. Der Rest, Inhalte zum Beispiel, sind egal. Am Ende werden es wieder konstruktive Gespräche mit ein paar Klippen gewesen sein.


Bildnachweis: suju-foto auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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